Freies Kino: Constanze Ruhm
Programm
BLACK MIRRORS TURNING BRIGHTER
2 min. 35 sec., b/w, no sound,
Constanze Ruhm 2023
„I thought art was for women, I identified art as a female activity.“ Suzanne Santoro
Die Werkserie Black Mirrors (1975–1981) der amerikanisch-italienischen Künstlerin Suzanne Santoro sowie das Künstlerinnenbuch Un album di violenza der Amerikanerin Stephanie Oursler haben die Arbeit Dark Mirrors Turning Brighter, aber auch die Verwendung eines Spiegels als optische Vorrichtung bei den Filmaufnahmen zu A Shard is a Fragment of a Life inspiriert. Dark Mirrors Turning Brighter verwebt in einer Computeranimation, die den zerbrechenden Spiegel aus A Shard Is a Fragment of a Life zeigt, Santoros „dunkle Spiegel“ mit Ourslers „Album der Gewalt“.
A SHARD IS A FRAGMENT OF A LIFE
Kinoversion einer 2 Kanal-Videoinstallation, 20 min. 24 sec., color, sound,
Constanze Ruhm 2023
Um das Vergangene mit dem Gegenwärtigen zu verknüpfen und damit zu vergegenwärtigen; um die Geschichte und die Zeugnisse von weiblichen Gefangenen – von Revolutionärinnen, Diebinnen, Schauspielerinnen, von Malerinnen und feministischen Schriftstellerinnen – aus dem 17. Jahrhundert in die Gegenwart zu verlegen, nach Rom in die Casa Internazionale delle Donne, die in ebenjenem Jahrhundert als Frauengefängnis Buon Pastore errichtet wurde, und auch um das Thema des Fragments auf eine konzeptuell-ästhetische Ebene zu heben, wurde eine optische Vorrichtung konstruiert. Mittels dieser werden die Wirklichkeit und ihr Abbild, reflektiert in der Scherbe eines zerbrochenen Spiegels, innerhalb eines einzigen Bildkaders aufgenommen und miteinander verschmolzen. So erscheinen die Gespenster der imaginären Gefangenen als Reflexionen, als zerbrochene Körper, als Schatten mit unscharfen Rändern, die zwischen Realität und Fiktion, zwischen zwei ontologisch verschiedenen Abbildern umhergeistern.
Das filmische Bild zersplittert in Scherben. In ihm verschwindet die Kontinuität des Raums: ein ScherbenKino, aber kein Scherbenhaufen, denn den haben die anderen hinterlassen, die Männer, und die Gespenster haben diesen Haufen schon wieder zum Puzzle ihres eigenen, wenn auch unvollständigen Abbilds zusammengesetzt. Die Scherben werden zu ihrem Kompass, zum Orientierungssystem, entlang dessen splitternder, scharfkantiger, glitzernder Ränder die Gespenster zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft navigieren. Hin und wieder verlaufen sie sich dabei und landen im falschen Jahrhundert. Die Spiegelscherben können aber auch zu Waffen und zu Signalkörpern werden, mit denen sie bei Sonnenlicht vom Dach des Gefängnisses der Außenwelt blendende Botschaften schicken.
GLI APPUNTI DI ANNA AZZORI / UNO SPECCHIO CHE VIAGGIA NEL TEMPO
Constanze Ruhm 2020, 72 min., A / D / F
Gli appunti di Anna Azzori / Uno specchio che viaggia nel tempo bezieht sich auf den Film ANNA von Alberto Grifi und Massimo Sarchielli (1972-75), der einige Monate im Leben eines jungen obdachlosen Mädchens gleichen Namens dokumentiert, die ein Kind erwartet und den Regisseuren im Frühling 1972 auf der Piazza Navona in Rom begegnet. Grifi und Sarchielli bieten ihr Hilfe an; im Gegenzug machen sie Anna zur Hauptfigur eines Filmprojekts, das zwischen Dokumentation und (Re)-Inszenierung, zwischen Empathie, distanzierter Beobachtung und Ausbeutung oszilliert. In Grifis und Sarchiellis Film wird das Mädchen Anna zur Darstellerin ihres eigenen Lebens. Gli appunti di Anna Azzori... verwendet unter anderem Materialien aus dem Archiv Alberto Grifis, die nicht in den Film ANNA eingegangen sind, und ist seiner Heldin gewidmet.
Erzählt wird die Geschichte einer Filmfigur zwischen Wirklichkeit und Fiktion, die durch die Zeit und dabei auch durch einige Filme reist, um am Ende schließlich „die Einstellung zu wechseln“. Diese Erzählung beruht auf den fiktiven Notizen des Mädchens Anna, und versteht sich sowohl als imaginäres Porträt als auch als feministische Antwort auf Grifis und Sarchiellis Werk. So wird Gli appunti di Anna Azzori... selbst zum “Spiegel, der durch die Zeit reist”: eine Figur namens Anna, Daphne oder auch Gemma wandert durch ihre eigene (Film)-Geschichte; dabei durchquert sie Räume, Bilder und Fragmente anderer Filme; sie streift durch Städte, Archive und auch durch die virtuelle Welt eines zeitgenössischen Computerspiels. Sie war ein Mensch, dann ein Baum, dann wieder ein Mensch; sie war die Ovid’sche Flussnymphe Daphne auf der Flucht vor Apoll, ist später zu Anna geworden; und hat sich irgendwann in eine junge Schauspielerin namens Gemma verwandelt, die für die Rolle der Grifi’schen Anna gecastet wird. Auf der Suche nach diesem Casting durchquerst sie in einen verwunschenen Wald, wo sie einigen jungen Frauen begegnet (einst virtuelle Heldinnen eines schon lange vergessenen Spiels), die dort nun als feministisches Kollektiv leben; sie gerät in das Rom der 70er Jahre, mitten in die Protestmärsche der Feministinnen und landet schließlich in einem verlassenen Freiluftkino, wo das Casting, das sie gesucht hat, bereits stattgefunden hat.
Die Vergangenheit (des Archivs) verbindet sich mit einer möglichen Zukunft: mit der Utopie einer feministischen Politik, die andere Lebensmodelle entwirft. Ein Bild dieser Zukunft erscheint auch in der flüchtigen Begegnung mit einigen jungen Frauen, die im Rahmen eines weiteren Castings als Annas’ Wiedergängerinnen, aber auch als ihre Gefährtinnen in den Fragmenten dieses zerbrochenen Film-Spiegels für einen kurzen Augenblick in der Gegenwart aufleuchten. (C.R.)
Konzept, Texte und Regie - Constanze Ruhm
Darstellerinnen - Gemma Vannuzzi | Mona Abdel Baky | Kheda Durtaeva | Ljubica Jaksic | Hannah Morscher | Cordula Rieger | Sidi Robol | Kadisa Seitinger | Alex Smith | Alisha Svestka | Livia Szankowsky | Law Wallner | Lia Wilfing | Stefano Mancini | Elisabeth Hrusa
Voice Overs - Judith van der Werff | Gemma Vannuzi | Constanze Ruhm